Seit über zwanzig Jahren bin ich in unterschiedlichsten Funktionen in der frühkindlichen Bildung, Betreuung und Erziehung tätig. Und noch immer bin ich fasziniert vom Wesen des jungen Menschen. Obwohl Kinder von uns abhängig sind, werden sie uns immer etwas voraus haben: ihre unstillbare Neugier auf die Welt und das Leben.
Trotzdem habe ich oft den Eindruck, dass Erwachsene glauben, sie kennen und verstehen junge Menschen besser als diese sich selbst.
Wie soll ein Kind seinen eigenen Sinnen vertrauen, wenn Erwachsene ihm sagen, dass seine Wahrnehmung nicht richtig ist? Unsere Aufgabe ist es, Kinder so zu begleiten, dass sie lernen können, ihren Sinnen und Gefühlen zu vertrauen.
Stellen wir uns ein Kind vor, das beim Anblick einer Mahlzeit Gefühle wie Ekel oder Unsicherheit empfindet. Das sind wichtige Signale – in der freien Wildbahn wären sie womöglich überlebenswichtig. Das Essen könnte verdorben oder ungeeignet sein.
Kinder lernen nicht, das zu essen, was sie mögen – vielmehr lernen sie, zu mögen, was sie essen. Und trotzdem wird kaum ein Kind sofort alles mögen, was ihm vorgesetzt wird. Es muss sich erst daran gewöhnen. Und selbst dann: Kennen Sie jemanden, der immer alles mit Freude isst, was auf dem Teller liegt?
Was als essbar gilt, ist zudem kulturell geprägt.
Deshalb ist es umso wichtiger, dass Erwachsene respektvoll, verständnisvoll und unterstützend mit den Gefühlen und der Wahrnehmung des Kindes umgehen.
„Probieren müssen“ kann das Vertrauen in die erwachsene Bezugsperson und die Beziehungsqualität beeinträchtigen. Ein solches Muss kann dazu führen, dass das Kind lernt, in dieser von Erwachsenen dominierten Welt keine Wahl zu haben – mit möglichen negativen Auswirkungen auf sein Selbstwertgefühl.
Essen ist immer mit Emotionen, mit der eigenen Wahrnehmung und dem eigenen Körper verbunden – und somit weit mehr als nur reine Nahrungsaufnahme. Essen ist etwas vom Wertvollsten.
Wenn ich Kinder beobachte, fasziniert mich, wie sie Lebensmitteln begegnen – mit Neugier, manchmal mit Widerstand oder mit einem Gefühl des Unbekannten. Mit ihrer unübertroffenen Authentizität zeigen sie, was sie empfinden. Oft genügt ein Blick, eine Mimik oder eine kleine Geste – und man weiss Bescheid.
Nach über 20 Jahren in der Arbeit mit Menschen bin ich überzeugt:
Es ist nicht sinnvoll, Menschen zu ihrem Glück zu zwingen. Schon gar nicht Kinder, die von uns abhängig sind und sich an uns orientieren.
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Rahim Lascandri
Fachverantwortlicher „Gemeinsam Essen“ und Projektleiter der Teamweiterbildung PEP Gemeinsam Essen im Kanton Aargau